„unter einem krieg mit china würde die gesamte welt leiden“
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„Wenn man denkt, Taiwan ist in Sicherheit, dann ist es in Gefahr“, warnt der Vertreter des Inselstaates im Interview. Der Konflikt mit China könne jederzeit eskalieren. Ein paar Schritte nur
sind es zum Auswärtigen Amt, und auch der Bundestag ist nicht weit: Rund um den Berliner Gendarmenmarkt haben sich mehrere Botschaften angesiedelt, alle in Laufweite zu den Machtzentralen
der Bundesrepublik. An einem Eck weht die blau-weiß-rote Flagge der Republik Chile, daneben hat das Fürstentum Liechtenstein seine Landesfarben vor die Tür gehängt. Nur die Botschaft von
Taiwan versteckt ihre Flagge im dunklen Eingangsbereich eines unscheinbaren Bürogebäudes. Offen zeigen darf die Vertretung des asiatischen Landes ihre Nationalfarben nicht, das sei
unerwünscht, erklärt eine Mitarbeiterin. Ja, nicht einmal Botschaft darf sich die Landesvertretung nennen. Denn Deutschland unterhält keine diplomatischen Beziehungen zu Taiwan. Auch Shieh
Jhy-Wey ist offiziell kein Botschafter, sondern ein „Repräsentant“. Die Aufgaben des Germanistik-Professors, der 1955 in Keelung im Norden Taiwans zur Welt gekommen ist, unterscheiden sich
allerdings kaum von denen eines „richtigen“ Botschafters: Von Berlin aus kümmert sich Shieh um die Anliegen seiner Landsleute in Deutschland, und er wirbt bei der Bundesregierung für die
Interessen seines von China bedrohten Inselstaats. Im Interview erklärt Shieh, wie er die Gefahr durch Peking einschätzt, warum er keine Angst vor einer möglichen Rückkehr von Donald Trump
hat – und wieso er erleichtert ist, dass Deutschland vor wenigen Tagen zwei Kriegsschiffe durch die Taiwanstraße geschickt hat. Herr Professor Shieh, vor ein paar Tagen sind erstmals seit 22
Jahren deutsche Kriegsschiffe durch die Taiwanstraße gefahren, die Meerenge, die China und Taiwan trennt. Als zuletzt vor drei Jahren eine deutsche Fregatte in der Region war, hat sie nach
Druck aus Peking die Taiwanstraße noch gemieden. War das jetzt ein längst überfälliger Schritt? Ich bin sehr erleichtert, dass Deutschland das gemacht hat. Die deutsche Regierung hat
verstanden, dass die regelbasierte Weltordnung auf dem Spiel steht, wenn man die chinesische Sichtweise akzeptiert, nach der die Taiwanstraße ein chinesisches Binnenmeer ist und kein
internationales Gewässer. Es ist im ureigensten Interesse der Bundesrepublik, der chinesischen Sichtweise nicht nachzugeben. Wie meinen Sie das? Ein großer Teil des Welthandels verläuft
durch die Taiwanstraße. Und Deutschland ist als Handelsnation von freien Seewegen abhängig. Wenn China die Meerenge kontrollieren würde, dann wäre es so, als hätte Peking den Schlüssel zu
einer Tür, die es jederzeit nach Belieben öffnen und schließen kann. Das sollte Deutschland nicht zulassen. Deswegen war diese Durchfahrt wichtig für alle Staaten, die vom Handel leben. Es
ist gut, dass Deutschland sagt: Wir stehen zu den Regeln. Und die besagen, dass Kriegsschiffe das Recht haben, durch die Taiwanstraße zu fahren, ohne sich vorher eine Erlaubnis der Chinesen
holen zu müssen. KONFLIKT MIT CHINA: „ABSCHRECKUNG IST DIE WICHTIGSTE STRATEGIE“ Der Druck auf Taiwan nimmt seit Jahren zu. Die chinesische Regierung hat unlängst eine Liste von sogenannten
„unverbesserlichen Separatisten“ veröffentlicht, darunter auch Taiwans Vizepräsidentin, und ihnen mit der Todesstrafe gedroht. Ich stehe nicht auf dieser Liste, ich muss mich also offenbar
mehr anstrengen _(lacht)_. Wir müssen diese Drohung aber natürlich ernst nehmen. Theoretisch könnte auch ein Deutscher, der Taiwan unterstützt, betroffen sein und für ein paar Jahre in
chinesischer Untersuchungshaft verschwinden. Auch militärisch macht China stetig Druck auf Taiwan. Wie groß ist die Gefahr, dass die Lage eskaliert? Die Gefahr besteht. Wir dürfen uns
jedenfalls nicht einreden, dass es so weit nicht kommen wird. Das hat uns der 24. Februar 2022 gezeigt. Wladimir Putin hat der Ukraine ihre eigene Identität abgesprochen, dasselbe sagt China
über Taiwan: dass wir kein eigenes Land seien, sondern ein Teil Chinas. Was natürlich Blödsinn ist. Es ist deshalb wichtig, Xi Jinping zu warnen: Komm bloß nicht auf die Idee, Taiwan
anzugreifen! Der Preis für dich wird so hoch sein, dass du diese Entscheidung mit Sicherheit sehr bereuen wirst. Abschreckung ist die wichtigste Strategie, und deshalb ist auch die
Durchfahrt der deutschen Kriegsschiffe durch die Taiwanstraße so wichtig. Wichtig ist es auch, militärisch vorbereitet zu sein. Viele westliche Experten sagen, Taiwan habe diesbezüglich zu
lange geschlafen. Wir haben uns lange ausgeruht, das stimmt. Aber seit Tsai Ing-wen 2016 Präsidentin geworden ist, ist das Bewusstsein für das, was kommen kann, geschärft. Der taiwanischen
Regierung ist klar, dass sie mit allem rechnen muss. Unter Tsai wurde die Dauer der Wehrpflicht von vier Monaten auf zwölf Monate verdreifacht. Auch die Bevölkerung ist sich der Gefahr
bewusster geworden, viele Menschen machen nun zum Beispiel Erste-Hilfe-Kurse. Außerdem hat Taiwan seine Allianzen gestärkt und macht das unter Tsais Nachfolger Lai Ching-te auch weiterhin.
„CHINA WILL TAIWAN ISOLIEREN“ Gleichzeitig hat Taiwan aber auch viele Alliierte verloren. Nur noch zwölf Länder unterhalten heute diplomatische Beziehungen mit Ihrer Regierung. China will
Taiwan isolieren und klaut uns deshalb unsere Verbündeten. Dabei fließt natürlich Geld. Deshalb verlieren wir schon seit Jahrzehnten einen Verbündeten nach dem anderen. In den vergangenen
Jahren haben sich gleichzeitig aber auch die Beziehungen zu Staaten wie Deutschland, den USA oder Japan sowie vielen EU-Staaten, die Taiwan nicht offiziell anerkennen, massiv verbessert. Wir
arbeiten heute auf einer nie dagewesenen Ebene in Bereichen wie Wirtschaft, Kultur, Bildung oder Sicherheit zusammen. In den USA könnte in ein paar Wochen Donald Trump erneut ins Weiße Haus
gewählt werden. Im Wahlkampf hat er von Taiwan eine Art Schutzgeld gefordert. Haben Sie Angst, dass er als Präsident Taiwan fallen lassen könnte? Ich habe in Taiwan mehr als 20 Jahre lang
Wahlkämpfe mitorganisiert. Ich weiß: Bei einem Wahlkampf muss man die Zuhörer begeistern, ihnen imponieren. Da werden manchmal Dinge gesagt, die nicht so gemeint sind. Die Amerikaner wissen,
dass Taiwan für ihre eigenen Interessen unverzichtbar ist. Das gilt für Trump genauso wie für Kamala Harris. Zudem würde Trump, sollte er noch einmal gewählt werden, nicht alleine regieren,
er hat dann einen Außen- und einen Verteidigungsminister an seiner Seite. Sind Sie da nicht zu optimistisch? Ich weiß, dass Trump in Europa keinen guten Eindruck hinterlassen hat. Aber
sowohl die Demokraten als auch die Republikaner haben Taiwan in den vergangenen Jahrzehnten immer unterstützt. Für die USA ist die Allianz mit Taiwan unverzichtbar. „America first“ – das
bedeutet nichts anderes als: Taiwan zu schützen. Wieso? Die Amerikaner wissen: Wenn Taiwan fällt, dann fallen auch Japan und die Philippinen, zwei ihrer engsten Verbündeten in Asien. Und
China hätte dann freien Zugang zum Westpazifik. Hinzu kommen wirtschaftliche Überlegungen: Taiwan ist eng eingebunden in internationale Lieferketten, etwa bei Computerchips. Unter einem
Krieg mit China würde die gesamte Welt leiden. Schon aus egoistischen Überlegungen heraus werden die Amerikaner uns also nicht fallen lassen, sondern uns vielmehr wie ihren eigenen Arm und
ihr eigenes Bein verteidigen. Aber ja, wir dürfen uns nicht zu sehr in Sicherheit wiegen, über Nacht kann alles kippen. Ich sage deswegen immer: Wenn man denkt, Taiwan ist in Sicherheit,
dann ist es in Gefahr. Wenn man denkt, Taiwan ist in Gefahr, dann ist es in Sicherheit.