Hongqi e-hs9 im test: rolls-royce mit roter fahne
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Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde. DER ERSTE EINDRUCK: Schau! Mich! An! Der Hongqi E-HS9 heischt nach Aufmerksamkeit. Der gewaltige Kühlergrill rundet die wuchtige Erscheinung
ab – selbst wenn es ihn für die Elektroversion des SUV gar nicht mehr bräuchte. Hiesige Luxus-SUV wirken dagegen beinahe filigran. Fotostrecke Hongqi E-HS9: Luxus, üppig inszeniert Foto:
Hongqi DAS SAGT DER HERSTELLER: Es muss nicht immer Maybach sein, auch nicht Rolls-Royce oder Bentley. Mit der Luxusmarke Hongqi appelliert der chinesische Autokonzern FAW an den
Patriotismus der heimischen Elite. »Chinese New Noble & Exquisite« nennen die Manager das Konzept, mit dem sie das Geld der Reichen im Land halten wollen. Allerdings stammt das Design
von Giles Taylor, der vormals das Rolls-Royce-Styling leitete. Sein Atelier befindet sich in München und nicht am Hauptsitz in Changchun. Trotzdem kommt der Patriotismus offenbar gut an bei
den Sehr-viel-Besserverdienenden in China. Allein im vergangenen Dezember hat Hongqi dort fast 40.000 Autos verkauft und mit 300.000 Fahrzeugen im Gesamtjahr 2021 ein Plus von 50 Prozent
erzielt. »Das war das beste Jahr unserer Geschichte«, meldet das Unternehmen. Für 2022 erwartet es noch bessere Zahlen. Seit einigen Monaten ist die Elektroversion des HS9 auch in Norwegen
im Handel und verkauft sich dort gut. Rolf Rørvik, Verkaufschef beim Mehrmarken-Händler Motor Forum in Stavanger, hat allein im Januar und Februar zwei Dutzend Hongqi ausgeliefert. An den
anderen Standorten sei die Nachfrage ähnlich hoch. So kommt der E-HS9 auf bis zu 200 Zulassungen im Monat und hat es bereits unter die Top 20 in Norwegen geschafft. Allerdings führt der
Händler den Erfolg weniger auf das auffällige Design zurück, sondern auf das üppige Platzangebot bei moderatem Preis. »Es gibt kein anderes elektrisches SUV mit einem so großen Innenraum.«
DAS IST UNS AUFGEFALLEN: Hallo Echo? So groß ist die Kabine, dass man zu testen geneigt ist, ob ein Ruf zurückschallt. Gleichzeitig scheint es angezeigt zu flüstern – der Innenraum wirkt so
vornehm. Lederoberflächen sind aufwendig gesteppt, das Furnier ist mit Nadelstreifen verziert, die Teppiche wirken dick wie im Grandhotel. Und alles ist in prallen Farben ausgeführt. Auch
wenn sich Holz und Leder nicht immer so gut anfühlen wie sie aussehen – der E-HS9 umschmeichelt die Insassen mit plüschigem Interieur bis hin zu den großen Sitzen, wahlweise in der
Bestuhlung 2-3-2 oder 2-2-2. Sie sind watteweich, klimatisiert und mit einer Massagefunktion bestückt. Es gibt sogar Kopfkissen, die vor die Kopfstützen geschnallt sind. Chinas Vorliebe fürs
Vernetzte und Digitale schlägt bei den Instrumenten im Hongqi durch. Quer über das Armaturenbrett flimmern drei je 16 Zoll (ca. 41 cm) große Bildschirme, die fast die gesamte Fahrzeugbreite
einnehmen. Trotz aller Opulenz – der E-HS9 ist weniger geräumig, als er sein könnte. Weil es das Auto in China auch als Verbrenner gibt, nutzt es keine Skateboard-Plattform mit Batterie im
Boden, weitem Radstand und noch mehr Platz im Innenraum und für die Beiladung. Das Fahrverhalten selbst indes steht dem europäischer Elektroautos kaum nach: Die Lenkung wäre bei BMW wohl
direkter und das luftgefederte Fahrwerk straffer. Aber das passt irgendwie zu Norwegen, wo man auf der Landstraße nur 80 und auch auf der Autobahn nicht schneller als 100 Kilometer pro
Stunde fahren darf. Über alle Zweifel erhaben ist der Antrieb – vor allem im Topmodell. Das beschleunigt beim Kick-down mit quietschenden Reifen in deutlich unter fünf Sekunden auf Tempo
100, bei fast drei Tonnen Leergewicht. Selbst Passstraßen zwischen Fjorden meistert der große Wagen ohne großen Spaßverzicht. Brenzlig wird es allenfalls mal wegen des großen Wendekreises,
den Konkurrenten mittlerweile mit einer Hinterachslenkung reduzieren. Dazu rekuperiert der HS9 so stark, dass man ihn nahezu ohne mechanische Bremse fahren kann. Stromtankstopps ziehen sich
mitunter etwas bei der enttäuschenden Ladeleistung von maximal 100 kW an der Gleichstromsäule und 11 kW an der Wallbox. DAS MUSS MAN WISSEN: Hongqi ist die Luxusmarke des Großkonzerns FAW
und heißt zu Deutsch »Rote Fahne«. So erklärt sich der rot leuchtende LED-Streifen im Zentrum des Kühlers. Hongqi war die erste chinesische Automarke und fertigte ab 1958 auf Basis
amerikanischer Chrysler-Modelle zunächst die Parade- und Repräsentationslimousinen für die Kader von Partei und Politbüro. Später stieg Hongqi auf Audi-Ableger um, ehe die Marke in den
jüngeren Jahrzehnten das Publikumsgeschäft mit eigenständigen Modellen entdeckte. Den Wandel begleiteten aufsehenerregende Studien. Die sahen mal wie Kopien und mal wie Karikaturen
europäischer Luxusmodelle aus. Zwar sind auch die Serienautos für den europäischen Geschmack stark überzeichnet. Doch sie wirken bodenständiger und seriöser – auch durch die Arbeit des
Design- und Entwicklungszentrums in München. Es wurde 2018 eröffnet und zeugt von den globalen Ambitionen der Chinesen. Norwegen soll für Hongqi in Europa deshalb nur der Anfang sein. Der
5,21 Meter lange E-HS9 wird dort wahlweise mit zwei 160-kW-Maschinen und 84-kWh-Akku (brutto) für eine Normreichweite von 380 Kilometer angeboten oder mit 160 und 245 kW sowie 99-kWh-Akku,
bei dem die Reichweite auf bis zu 450 Kilometer klettert. Die Preise beginnen in Norwegen bei umgerechnet etwa 61.500 Euro. Das ist zwar viel Geld für einen China-Import. Gemessen an der
europäischen Konkurrenz ist der E-HS9 ein Schnäppchen: Der kleinere BMW iX kostet dort umgerechnet ab 68.000 Euro, und wer in der Verbrennerwelt ein Pendant sucht, landet etwa beim BMW X7
für mindestens 147.000 Euro. DAS WERDEN WIR NICHT VERGESSEN: Wie sich bei allem Streben nach europäischem Luxus am Ende doch viel chinesischer Einfluss in den Details eingeschlichen hat. Das
gilt für die Schriftzeichen in den Einstiegsleisten sowie auf dem Deckel des Staufachs unter der Motorhaube. Und mehr noch für die brillanten Grafiken hinter dem Lenkrad. Dort wird zum
Datum auch gleich noch das Sternzeichen eingeblendet.