Alpiner Piefke-Filter: Sturm frei auf Österreichs Unis - DER SPIEGEL


Alpiner Piefke-Filter: Sturm frei auf Österreichs Unis - DER SPIEGEL

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Schon bald könnten Deutsche ohne jegliche Diskriminierung mit Österreichern um Studienplätze in der Alpenrepublik wetteifern. Mittwoch hat die EU-Kommission abermals unterstrichen, dass


Bewerber aus EU-Mitgliedsländern gegenüber Österreichern nicht benachteiligt werden dürfen. Damit dürfte die geltende Quotenregelung bald passé sein.


Studenten aus anderen Ländern dagegen mussten bis Juli 2005 belegen, dass ihnen im jeweiligen Herkunftsland ein Studienplatz sicher war – andernfalls verwehrte ihnen auch Österreich die


Uni-Zulassung. Mit europäischem Recht war das nicht vereinbar. Die offensichtliche Benachteiligung verurteilte der EuGH vor eineinhalb Jahren als rechtswidrig: Für alle Bewerber aus


EU-Mitgliedsländern müssten die selben Zulassungskriterien gelten.


Sogleich kam es zu einem Ansturm deutscher NC-Flüchtlinge: An der medizinischen Universität Graz stellten sie im Herbst 2006 stolze 42 Prozent der Studienanfänger; im Jahr zuvor waren es


noch drei Prozent. Insgesamt zog es 1800 Piefke an Unis im Alpenland.


Die österreichische Bundesregierung reagierte flugs mit einer Quotenregelung für besonders populäre Fächer wie Medizin und Zahnmedizin: 75 Prozent aller Studienplätze sollten auch weiterhin


für Österreicher reserviert sein, 20 Prozent für Bewerber aus dem restlichen EU-Raum, fünf Prozent für Nicht-EU-Bürger. Zudem erhöhte man die Gesamtzahl der Studienplätze und erlaubte


Hochschulen erstmals, Zulassungsprüfungen durchzuführen.


Begründet wurden die Maßnahmen mit einem rechtlich fragwürdigen Argument: Der Zustrom vor allem von deutschen Studenten gefährde langfristig die medizinische Versorgung in Österreich. Diese


Einschätzung überzeugte den EuGH nicht: Eine solche Gefährdung müsse erst durch Daten belegt werden, so die Luxemburger Richter. Die Quotenregelung verstoße gegen EU-Recht und sei "weiterhin


diskriminierend", wie auch der Sprecher von Bildungskommissar Jan Figel unterstrich. Rechtsexperten hatten die Dauerhaftigkeit der Regelung schon bei ihrem Inkrafttreten angezweifelt; sie


wirkte verdächtig wie eine hastig erlassene Übergangslösung im Hinblick auf die Nationalratswahlen im Herbst 2006.


Tatsächlich muss sich nun die neue Bundesregierung um die Angelegenheit kümmern. "Man muss auch klar sagen, was hier angerichtet wird unter Umständen", warnte Österreichs frisch vereidigter


Bundeskanzler Alfred Gusenbauer. Der Sozialdemokrat setzt nun auf "klare und manchmal harte" Verhandlungen mit der EU-Kommission. Österreich hat zwei Monate Zeit, um auf das Mahnschreiben


aus Brüssel zu reagieren.


Kann das Land die Kommissions-Zweifel nicht ausräumen, droht erneut eine Klage vor dem EuGH. Das könnte zu Strafzahlungen von 2500 bis 150.000 Euro pro Tag führen, weil es ja um die


Nicht-Umsetzung eines früheren Urteils geht. Und dabei hatte der Gerichtshof Österreich bemerkenswert klar "auch alle versteckten Formen der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit"


untersagt.


Österreich entschied sich trotzdem fürs Tricksen. Mit einer Zulassungsprüfung könnten die Hochschulen zwar die besten Kandidaten auswählen, ohne bestimmte Nationen zu diskriminieren - doch


Österreichs Maturanten scheinen ein bisschen Protektion dringend zu brauchen: Bei den bisherigen Prüfungen hatten die deutschen NC-Flüchtlinge die Nase vorn, obwohl sich nicht die stärksten


Bewerber an den Alpen-Unis meldeten, denn die konnten ja auch in Deutschland studieren. Ohne die 75-Prozent-Schutzquote und streng nach Leistung im Eignungstest hätte es an den Unis


Innsbruck und Wien im Herbst 2006 lediglich 42 Prozent österreichische Erstsemester der Medizin gegeben.


Um dem österreichischen Bildungswesen auch weiterhin keine Blöße zu geben, fahndet man in Wien nun nach einer EU-konformen Lösung. Realistischer wäre jedoch eine europaweite Standardisierung


für den Hochschulzugang - oder Ausgleichszahlungen von den Herkunftsländern. Dafür bedarf es jedoch einer europäischen Richtlinie, die österreichische Bildungsminister seit dem EU-Beitritt


1995 konsequent nicht angestrebt haben.


Die Rechnung für dieses Versäumnis flatterte jetzt ins Haus. Auf EU-Ebene kann Wien aber zumindest mit einem Verbündeten rechnen: Belgien kämpft unter ähnlichen Umständen mit einem Strom von


französischen Studenten und schottete sich mit einer 70-Prozent-Medizinquote für Belgier in frankophonen Regionen ab. Auch dagegen geht die EU vor.