Krise beim deutschen schachbund: der bundestrainer ist schachmatt
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------------------------- * * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Schach boomt in der Coronakrise. In den weltweiten Shut- und Lockdowns
wenden sich immer mehr Menschen zu Hause dem jahrhundertealten Spiel der Könige zu – vor allem online. Die Netflix-Serie »Das Damengambit« begeistert auch Menschen, die sich bislang nicht
für das Spiel interessiert haben. Und Schachweltmeister Magnus Carlsen organisiert eine Serie an Onlineturnieren mit einem Millionenpreisgeld. Das hat es zuvor noch nie gegeben. Schach
scheint tatsächlich ein Gewinner der Krise zu sein – nur in Deutschland verschläft man den Boom, zumindest beim Verband. Der Deutsche Schachbund (DSB) ist mit sich selbst beschäftigt, Ärger
in den eigenen Reihen sorgte in den vergangenen Monaten für mehrere Rücktritte von Funktionären. Im Zentrum der Kritik: Bundestrainer Dorian Rogozenco. Der Schachbund zog nun Konsequenzen.
Auf der Homepage des Verbands hieß es am Montagabend, man habe sich mit dem Bundestrainer in beiderseitigem Einvernehmen dazu entschlossen, getrennte Wege zu gehen. DSB-Präsident Ullrich
Krause bedankte sich für die gute Zusammenarbeit. Rogozenco wurde mit den Worten zitiert, die Arbeit habe ihn mit Stolz erfüllt. »Auch wenn es am Ende zu manchen Konflikten kam, wünsche ich
allen nur das Beste für ihre weitere schachliche Entwicklung«, so Rogozenco. Konflikte gab es jedoch nicht nur manche, sondern einige. Diese hatten am Samstag in einem Aufstand von zwölf
Topspielern und -spielerinnen gegipfelt, darunter auch der 16 Jahre alte Vincent Keymer, das größte deutsche Talent. Die Spieler veröffentlichten einen offenen Brief , in dem sie androhten,
unter Rogozenco nicht mehr für die Nationalmannschaft spielen zu wollen. In dem Brief heißt es, Bundestrainer Rogozenco treffe »destruktive Entscheidungen, die ein unerträgliches Ausmaß
erreicht haben«. Insbesondere Spielerinnen habe Rogozenco keinen Respekt entgegengebracht. Der Verband weiche einem Dialog aus. Georg Meier, langjähriger Nationalspieler und Initiator des
Protests, konkretisierte die Vorwürfe im Gespräch mit dem SPIEGEL. Einzelne Spielerinnen und Spieler hätten in den vergangenen Jahren immer wieder Probleme mit Rogozenco gehabt, der Moldauer
ist seit Januar 2014 Bundestrainer. In den vergangenen Monaten habe es aber mehrere Konflikte gegeben, die nun den gemeinsamen Protest der Nationalspieler ausgelöst hätten, so Meier. Ein
Vorwurf: Rogozenco soll im Vorfeld der German Masters, einem Turnier acht deutscher Topspieler im August, ein individuelles Training für einen der Teilnehmer organisiert haben. »Das ist
unerhört, weil er danach gegen seine Kollegen im Kader spielte. Der Verband hat unter Anleitung des Bundestrainers sozusagen sein Aufwärmprogramm finanziert und organisiert. Das hat alle
anderen Spieler hart getroffen«, sagte Meier. Dieses Training führte Anfang Oktober sogar zum Rücktritt des Referenten für den Leistungssport, Andreas Jagodzinsky. Der bemängelte in einer
internen Mail vom 1. Oktober, Rogozenco habe die Kosten für das Training, an dem ein Großmeister aus den Top 20 der Weltrangliste beteiligt gewesen sein soll, nicht mit ihm abgeklärt. Der
SPIEGEL konnte die Mail einsehen. Demnach fand das Training für den deutschen Spieler Liviu-Dieter Nisipeanu statt, er soll ein langjähriger Freund Rogozencos sein. Das Training soll 4188
Euro gekostet haben, viel Geld für einen Verband wie den Schachbund. Verbandsausgaben über 500 Euro hätte Jagodzinsky eigentlich absegnen müssen, Rogozenco soll jedoch eigenmächtig gehandelt
haben. Der DSB kündigte eine Untersuchung an, die aber offenbar noch andauert. In der nun erfolgten Mitteilung war keine Rede davon. Zu dem Vorwurf teilte Rogozenco dem SPIEGEL mit,
aufgrund der Coronapandemie sei für das Training kein anderer Termin infrage gekommen. »Es ging um einen geheimen Einzelwettkampf für den einzigen A-Kaderspieler des DSB, was eine übliche
Trainingsmaßnahme in Spitzenschach darstellt. Sowohl die Trainingsmaßnahme als auch alle anfallenden Kosten waren intern mit der Führung des DSB abgestimmt.« Kosten über 500 Euro habe er
sich auch davor nicht durch den Referenten für den Leistungssport genehmigen lassen müssen. BUNDESTRAINER WIDERSETZTE SICH OFFENBAR DEM VERBAND Einen weiteren Konflikt gab es um die deutsche
Topspielerin Elisabeth Pähtz und ihre Teilnahme an der Schach-Olympiade im August, sozusagen der Mannschaftsweltmeisterschaft. Kurz zuvor war Pähtz' Online-Account auf der
Schachplattform lichess beim Betrügen erwischt worden. Pähtz erklärte später, ein Freund habe Zugang zu ihrem Account gehabt und mit fremder Hilfe Partien gewonnen. Beweise dafür, dass sie
nicht an dem Betrug beteiligt war, legte sie dem Schachbund und dem Weltverband Fide nach eigener Aussage privat vor. Die Verbände äußerten sich nicht offiziell. Pähtz sagte jedoch bei
»chessbase« , sie sei von der Fide für einen Wettkampftag gesperrt worden, weil sie die Verantwortung für ihren Account trage. Zwei Spieler der Olympiade-Mannschaft, Rasmus Svane und
Matthias Blübaum, wollten jedoch nicht mit Pähtz in einem Team spielen, solange die Vorwürfe nicht nachvollziehbar aufgearbeitet würden, so erklärt es Meier. Es soll daraufhin innerhalb des
Verbands eine Einigung gegeben haben, dass Pähtz vom Bundestrainer nicht aufgestellt wird. In der letzten Turnierrunde widersetzte sich Rogozenco dem, stellte Pähtz auf und strich die beiden
Männer aus dem Team. »Das war ein Riesenbruch zwischen den Spielern und dem Bundestrainer«, sagte Meier. Spätere Beschwerden habe DSB-Präsident Ullrich Krause versanden lassen. Rogozenco
sagte, Paehtz' Aufstellung sei abgesprochen gewesen. Man habe sich darauf geeinigt, die A-Kader-Spielerin in der Qualifikationsphase der Online-Olympiade nicht einzusetzen. In der
K.o.-Phase sei das aus seiner Sicht aber möglich gewesen. Er habe sich dafür extra bei dem damaligen DSB-Präsidenten Ullrich Krause rückversichert. Der habe erklärt, Rogozenco solle das Team
so aufstellen, wie er es am besten fände. Rogozenco beklagte außerdem, dass die Spieler Rasmus Svane und Matthias Blübaum gedroht hätten, nicht in einem Team mit Paehtz antreten zu wollen.
Das sei eine »direkte Erpressung« gewesen. KEIN RESPEKT FÜR DAS FRAUENTEAM Zwar soll sich Rogozenco gut mit Pähtz verstehen, der besten deutschen Spielerin. Mit vielen anderen Mitgliedern
der Frauen-Nationalmannschaft gab es jedoch immer wieder Probleme. In den vergangenen Jahren soll Rogozenco sich oft respektlos gegenüber den Frauen verhalten haben, sagte Teamsprecherin
Sarah Papp dem SPIEGEL: »Es ist schon vorgekommen, dass er mal ausgerastet ist, ein paar Spielerinnen haben in seiner Gegenwart oder im Anschluss schon angefangen zu weinen.« Rogozenco
widerspricht der Darstellung, er habe sich Frauen gegenüber respektlos verhalten. »In sieben Jahren mit zahlreichen Trainingsmaßnahmen und Turnieren als Trainer und Kapitän war die
Atmosphäre in der Mannschaft in den allermeisten Fällen optimal. Aber im Leistungssportbereich auf höchstem Niveau sind angespannte Situationen manchmal unvermeidlich. Ich kann mich nur an
zwei Situationen erinnern, in denen jeweils eine Spielerin bei der Wettkampfanalyse Tränen in den Augen hatte. In beiden Situationen habe ich Partien kritisch analysiert und auf Fehler
hingewiesen. Dass ich ausgerastet bin, ist schlicht nicht wahr.« Die Spielerinnen seien in diesen Situationen von ihren eigenen Leistungen enttäuscht gewesen, sagte Rogozenco. Die Frauen
waren froh, als sie vor zwei Jahren einen eigenen Nationaltrainer bekamen. Alexander Naumann wurde der sogenannte Teamkapitän, er sollte auch verantwortlich für die Aufstellung bei Turnieren
sein. Im vergangenen Sommer aber sagte dann Rogozenco, er werde über die Aufstellung für die Olympiade entscheiden, obwohl er im Gegensatz zu Naumann nicht mit den Frauen trainiert hatte.
Daraufhin trat Naumann zurück. Den Konflikt um die Kompetenzen bei der Online-Olympiade stellt Rogozenco anders dar. Da es nur ein gemischtes Team mit einem Kapitän gegeben habe, sei
automatisch der Bundestrainer verantwortlich gewesen. Meier und Papp betonen beide, nach den Konflikten das Gespräch mit dem Bundestrainer und dem Verband gesucht zu haben. Nach der
ausbleibenden Reaktion sei der offene Brief die letzte Möglichkeit gewesen. Die Spieler wünschen sich vom Verband einen Dialog und neue Lösungen. BRAUCHT ES EINEN BUNDESTRAINER? Dann wollen
die Spielerinnen und Spieler auch diskutieren, ob es den Posten eines Bundestrainers überhaupt braucht. Der nimmt eine Vollzeitstelle ein, obwohl Länderspiele nur einmal im Jahr bei der
Europameisterschaft oder der Olympiade stattfinden und es nur selten Trainingslager für alle Spieler gibt. Teilfinanziert wird der Bundestrainer von der Spitzensportförderung des
Innenministeriums, das dem Schachbund zwischen 2014 und 2019 etwa 80.000 bis 108.000 Euro pro Jahr bezahlt hat . Das Geld für einen Bundestrainer könnte auch anders investiert werden.
Großmeister Meier fände es besser, Trainer nur für Trainingslager oder Turniere zu buchen und nur dafür zu bezahlen. Für einen fest angestellten Bundestrainer gebe es »keine inhaltliche
Begründung«, sagt er. Athletinnen-Sprecherin Papp betont, sie wünsche sich einen Teamkapitän für die Frauen, der eigene Entscheidungen unabhängig von einem Bundestrainer treffen darf. »Für
uns wäre es wichtig, dass wir einen Trainer haben, der die gleichen Rechte hat wie der Männertrainer und eben nicht unter dem Männertrainer steht. Das sind veraltete Strukturen«, so Papp. Um
solche Ideen umzusetzen, bedürfte es aber eines Dialogs zwischen Verband und Aktiven. Der wurde nun für das kommende Wochenende angekündigt. Das DSB-Präsidium habe die Kaderspielerinnen und
-spieler zu einer Videokonferenz eingeladen, um über die zukünftige Ausrichtung des Bereiches Leistungssports zu sprechen, hieß es. DSB-Präsident Ullrich Krause war offenbar gezwungen zu
reagieren. 2021 sind Präsidentschaftswahlen. _Anmerkung der Redaktion: Der ehemalige Bundestrainer Dorian Rogozenco hat sich im Juli 2023 auf eine SPIEGEL-Anfrage vom November 2020 zu den
gegen ihn erhobenen Vorwürfen geäußert. Er begründete seine späte Reaktion damit, dass der Schachbund ihm damals untersagt hätte, auf die Anfrage zu reagieren. Wir haben seine Antworten auf
die SPIEGEL-Anfragen nun im Text ergänzt._