Kinderkrankentage: Eltern am Limit und wieso es jetzt auf das Verständnis der Kollegen ankommt - DER SPIEGEL
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Alltag: Das Kind ist krank, die Eltern können nicht arbeiten (Symbolbild)
Wissen Sie, wie sich berufstätige Eltern und ihre Kinder gerade vorkommen? Wie in Hitchcocks »Die Vögel«. Nur ist es kein Vogelschwarm, der uns angreift. Es sind Kita-Keime. Dazu das
ständige schlechte Gewissen, wieder nicht zur Arbeit zu können, die Kolleg:innen wieder im Stich zu lassen. Es gibt kein Entkommen.
Sars-CoV-2 ist nur einer von vielen Krankheitserregern, aufgrund von Quarantäne und Isolation mitunter der nervigste, manchmal auch der mit den wenigsten Symptomen bei den Kindern. Viele
andere Keime haben im vergangenen Herbst und Winter Pause gemacht: Als Kitas und Kindergärten geschlossen hatten, konnten sie sich nicht ausbreiten und haben bei den kleinen Wirten jetzt
wieder leichtes Spiel. Die wiederum müssen den Kampf nun ausfechten, ihr Immunsystem kommt wieder ins Training.
Bedeutet für uns Eltern: Die Kitas sind zwar offen, aber die Kinder können nicht hin. Der Arbeitslaptop bleibt zugeklappt, stattdessen kocht man Tee, wickelt Waden in feuchte Handtücher und
beantragt bei der Apotheke eine Bonuskarte.
Liest sich alles erst einmal recht unterhaltsam? Sie irren. Nach krank, müde, ausgelaugt und kurz vor der Scheidung kommt albern. Anders ist es manchmal nicht zu ertragen.
Die Pandemie-Situation und die Folgen, die sich daraus ergeben, sind belastend und treiben Eltern in den Burn-out . Da ist natürlich zuallererst die Sorge um die Kinder, um das
Familienleben, um die eigene Gesundheit – aber auch um den Job. Da sind die Kolleg:innen, die man nicht hängen lassen, die Vorgesetzten, die man nicht enttäuschen will. Das Team kann nicht
alles auffangen, was liegenbleibt. Ich möchte nicht der Grund dafür sein, dass andere in Stress geraten; von vielen Freund:innen, Bekannten und Kolleg:innen weiß ich, dass sie genauso
denken. Und doch geht es manchmal nicht anders.
Die Nachricht, ich müsse mich heute leider (kinder-)krankmelden, ist seit Monaten als Vorlage in meinem E-Mail-Programm gespeichert. Manchmal bleibt sie trotzdem im Entwürfe-Ordner hängen,
stattdessen raffe ich mich auf und arbeite. Mittags oder spätabends, wenn das Kind schläft – das Homeoffice macht es möglich, in vielen anderen Jobs geht das nicht mal. Auf den Vollzeitjob
Kind folgt also der eigentliche. Dann ist aber die Wohnung noch nicht sauber und die Wäsche nicht gewaschen. Ständig plagt das schlechte Gewissen: Werde ich dem Kind gerecht, meinen eigenen
Ansprüchen, den Kolleg:innen?
Schon oft wurde darüber gesprochen, was Eltern in dieser Pandemie schultern müssen. Als Entgegenkommen gab es 300 Euro Kinderbonus, statt 20 hat man 30 Tage Anspruch auf Kinderkrankengeld .
Es gibt auch Arbeitgeber:innen, die ihren Angestellten voll bezahlte Kinder-Krank-Tage schenken. Das alles ist richtig und wichtig – aber ein Denkfehler, denn die Arbeit bleibt liegen, die
Verantwortung, die wir mit unseren Jobs übernehmen, verschwindet nicht. Es geht auch, aber eben nicht nur ums Geld.
Eine Freundin erzählte mir neulich von einer Kollegin, die ihr heulend gegenübersaß und schluchzte: »Ich will doch einfach nur arbeiten.« Es ist der unterdrückte Schrei nach einem geregelten
Alltag, nach Normalität, weniger Stress: Das gesunde, sich nicht in Quarantäne befindende Kind geht in die Kita, spielt mit seinen Freund:innen, die Eltern arbeiten und sie machen
Feierabend. Man büßt als Selbstständige:r keine Einnahmen ein, muss als Angestellte:r nicht ständig den Vorgesetzten sagen, dass sich etwas verzögert, oder die Kolleg:innen ohne Kinder darum
bitten, etwas zu übernehmen. Es klingt wie eine Utopie aus einer längst vergessenen Zeit.
Die Freundin, im Übrigen, hörte der Kollegin einfach zu. Sie ist selbst Mutter und sagte das einzig Richtige: »Ich verstehe dich!« Kein Augenrollen, kein Ärger über die Kollegin, die schon
wieder fehlt. Nur Verständnis. Und so auslaugend die Situation gerade auch ist, Verständnis hilft zumindest im ersten Schritt am meisten. Das ist kein bisschen selbstverständlich, aus meinem
Freundeskreis kenne ich Dutzende Geschichten über stöhnende Vorgesetzte und Kolleg:innen, die eben nicht verstehen – und dadurch noch mehr Druck erzeugen.
Und auch die Frage danach, ob der Vater sich nicht mal kümmern könne, kann man sich gern sparen. Der ist ebenso dran, nur bekommt das niemand mit, wenn die Mutter arbeitet.
Wenn Eltern sich mit ihrer Last allein fühlen, dann nehmt ihnen als Kolleg:innen und Vorgesetzte – mit oder ohne Kind – wenigstens die, sich als schlechte, nervige, nicht brauchbare
Arbeitnehmer:innen zu fühlen. Habt Verständnis. Auch dafür, dass andere nicht alles auffangen können. Wir sollten doch längst gelernt haben, dass die Pandemie uns alle vor extreme
Herausforderungen stellt, ganz unterschiedlicher Art. Dass es uns nicht weiterbringt, unser Leid, unseren Stress gegeneinander aufzuwiegen. Wir müssen den Leistungsdruck überdenken, einen
Gang zurückschalten. Statt mehr geht eben gerade weniger.
Alltag: Das Kind ist krank, die Eltern können nicht arbeiten (Symbolbild)