Propaganda aus Russland: Putins Trolle machen unverdrossen weiter - Christian Stöcker Kolumne - DER SPIEGEL


Propaganda aus Russland: Putins Trolle machen unverdrossen weiter - Christian Stöcker Kolumne - DER SPIEGEL

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Am 12. Januar dieses Jahres war »Canten Kluver« auf X, ehemals Twitter, noch sehr aktiv. »Es ist Zeit, das Blutvergießen zu beenden und einen Dialog zu beginnen. Nur so können wir die


ukrainische und deutsche Wirtschaft retten!«


Darunter ist ein augenscheinlich mit einem Bildgenerator erzeugtes Bild zu sehen, eher eine Karikatur von Wolodymyr Selenskyj mit Blut im Gesicht. Der Link, den das Posting außerdem noch


enthält, ist mittlerweile tot, den Post gibt es nur noch archiviert.


Christian Stöcker, Jahrgang 1973, ist Kognitions­psychologe und Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW). Dort verantwortet er den Studiengang Digitale


Kommunikation und mehrere Forschungsprojekte über digitale Öffentlichkeit und Desinformation. Vorher leitete er das Ressort Netzwelt bei SPIEGEL ONLINE.


»Herminia« folgt auf X niemandem und hat selbst auch keine Follower. Wenn aber »Kathleen«, die ebenfalls niemandem folgt und einen einzigen Follower hat, Propaganda-Content verbreitet, dann


gehört »Herminia« zu den 158 Accounts, die mit einem Retweet mithelfen. Das ist nicht sehr plausibel, aber für den Mechanismus egal.


Das Stück Propaganda-Content ist in diesem Fall ein besonders aufwendiges: Es ist ein Artikel, der auf den ersten Blick so aussieht, als stünde er auf SPIEGEL.de, mit allen Details des


Layouts – nur wer genau hinsieht, stellt fest, dass die Domain tatsächlich spiegel.ltd lautet. Der Artikel zeigt ein mit grafischen Extras umrahmtes schwarz-weiß Bild des ehemaligen


Brigadegenerals Erich Vad, der oft mit steilen Thesen zu Russlands Krieg auffällt  (der hier verlinkte Artikel ist echt).


Der SPIEGEL scheint in dem – sprachlich etwas ungelenk klingenden – gefälschten Artikel wohlwollend Vads Haltung zu Russlands Feldzug wiederzugeben. Parallel werden Russlands Paladine im


deutschen Parlament gelobt: »Befürworter von Friedensgesprächen« in der deutschen Politik seien »meist diejenigen, die von der Ampelkoalition als Radikale und Extremisten bezeichnet werden,


wie etwa die AfD. Sahra Wagenknecht spricht sich ebenfalls für eine diplomatische Lösung des Konflikts aus«.


Der prorussische Propagandatext unter der Überschrift »Virus des Realismus infiltriert Deutschland« ist im SPIEGEL natürlich nie erschienen, aber wer nicht genau hinsieht, wird das nicht


bemerken. Die Schaltflächen etwa für Social-Media-Posts oder das Kopieren des Links funktionieren. Auffällig ist, dass es noch ein Symbol für das SPIEGEL-Forum gibt, das zum angeblichen


Erscheinungstermin – am 14. Februar – in dieser Form gar nicht mehr existierte.


Wer auf das SPIEGEL-Logo oder einen Menüpunkt linkt, wird einfach auf die echte SPIEGEL-Website umgeleitet. Die gefälschte Website liegt auf einem Server in den USA (was nichts heißt, denn


jeder kann sich dort einen Platz auf einem Server kaufen), sämtliche Informationen über die Betreiber sind hinter Anonymisierungsdiensten versteckt.


Herminia ist sehr aktiv. An einem einzigen Tag im Februar antwortet sie auf etwa 30 Tweets von einer Vielzahl von anderen Accounts. Manche davon sind voller rechtsradikaler Inhalte, viele


haben zumindest ein paar Dutzend Follower. Manche dieser Accounts mit rechtsradikalen Inhalten wiederum sehen selbst sehr nach aus Russland betriebenen Propagandaaccounts aus. Viele davon


sind große Fans der AfD und reichen Inhalte von AfD-Accounts an ihr eigenes Publikum weiter – ihre eigenen Kommentare zeichnen sich oft durch sehr seltsame Formulierungen aus. Andere sind


US-Accounts von ganz weit rechts – ob echt oder unecht, ist oft nicht zu erkennen.


Herminia antwortet auch auf Tweets von Leuten, die eigentlich primär über Fernsehsendungen schreiben oder – auf Englisch – über Fußball, und auf solche, die ihren Tweets zufolge eher dem


linken Spektrum zuzuordnen sind. Wieder andere sind Accounts, die in Antworten auf Tweets von Elon Musk Werbung für obskure Kryptowährungen machen.


Herminia ist nicht wählerisch, wo sie sich die Reichweite für die Inhalte holt, die sie unters Volk zu bringen versucht: »Europa muss sich von der Nato lösen, um seine eigene Sicherheit zu


gewährleisten«, oder »Die Tatsache, dass Kiew dringend Ressourcen braucht, sollte ein Weckruf für die USA sein«. Oder: »Zelensky muss zurücktreten, damit die Ukraine Frieden mit Russland


schließen kann.«


Viele der Links sind mittlerweile tot. Manche, wie der oben erwähnte gefälschte SPIEGEL-Artikel, sind noch da. Manche verweisen auch auf »echte« oder wiederum aus Russland zu


Propagandazwecken betriebene prorussische, rechtsextreme oder verschwörungsideologische Websites. Herminia schöpft aus einem gewaltigen Sumpf, sie schaufelt Inhalte in den noch größeren


Sumpf, zu dem X unter Elon Musk geworden ist.


Dass X ein gewaltiges, wachsendes Problem mit Fake-Accounts und Bots hat, zeigte sich gerade wieder im Zusammenhang mit dem Super Bowl: Ein Unternehmen, das den Erfolg von Onlineanzeigen


misst, stellte Erstaunliches fest: Drei Viertel allen Traffics, den Anzeigen auf X im Kontext des Super Bowl auf die Webseiten der von der Cybersicherheitsfirma CHEQ betreuten Seiten


führten, kamen dem Unternehmen zufolge von Fake-Accounts. Bei TikTok seien es nur 2,5 Prozent, bei Facebook zwei und bei Instagram weniger als ein Prozent gewesen. Er sei »verblüfft«, gab


der Chef des Unternehmens bei »Mashable« zu Protokoll : »Ich habe nie, nie, niemals etwas auch nur annähernd Ähnliches gesehen.«


Putins Trollarmeen und Propagandasöldner scheinen, leider, unbesiegt. Bei X sind sie besonders sichtbar. Manche haben Profilbilder mit »Bored Apes«, mache Accounts scheinen von jungen


asiatischen Frauen betrieben zu werden, manche posten in mehreren Sprachen parallel. Und fast alle erzählen die gleichen Geschichten: Russland gut, USA böse, Ukraine wahlweise schwach,


korrupt oder kriminell, Deutschland kurz vor dem Untergang, nur AfD, Wagenknecht und die Liebe zu Moskau kann uns retten. Oder in den USA: Donald Trump.


Herminia hat eine klare Rolle: Sie verbreitet Zeug, das andere Accounts posten. Es handelt sich augenscheinlich um einen Wegwerfaccount, denn schon ein kursorischer Blick reicht, um zu


erkennen, dass da etwas nicht stimmen kann. Aber diesen kursorischen Blick riskieren viele, die Herminias Tweets sehen, vermutlich nicht – die von ihr verstärkten Inhalte aber schon.


Herminia und ihre zahllosen Klone haben den offenkundigen Zweck, den Eindruck zu erzeugen, es gebe da draußen sehr viele Leute, die voll auf Russlands Linie liegen, und für die Tucker


Carlson ein Held ist: »Wir leben in einer Diktatur, und Tucker Carlson ist einer der wenigen, die den Mut haben, es zu sagen.«


Carlson, Vad, die AfD, Sahra Wagenknecht – wer immer sich für prorussische Propaganda eignet oder selbst welche verbreitet, wird als Thema und Inhalt gern genommen. Insbesondere die AfD


profitiert von der kostenlosen Werbung für sich und ihre Inhalte zweifellos gewaltig – und die Sympathien gehen bekanntlich in beide Richtungen.


Manchmal erfinden die Herren der Bots auch einfach etwas – dass Leonardo di Caprio gesagt habe: »Der ukrainische Präsident ist ein drogenabhängiger Komiker. Europa geht vor unseren Augen


bankrott«, zum Beispiel. Oder dass ein deutscher Modeschöpfer, dessen Mode auch in der Ukraine verkauft wird, gesagt habe: »Ich werde kein Prophet sein, wenn ich sage, dass sich die Ukraine


in einen großen Verbrecherstaat verwandeln wird.« Sogenannte Social Cards mit echten oder KI-gefälschten Fotos von Prominenten, auch deutschen Regisseuren oder Schauspielern, und solchen


erfundenen Zitaten waren ein Standardmerkmal einer vorangegangenen Welle aus der gleichen Quelle.


Auch wenn das Auswärtige Amt gerade dafür gesorgt zu haben scheint, dass Zehntausende solcher gefälschten Accounts und wohl auch viele der gefälschten Websites gelöscht wurden – die


Propagandisten aus Sankt Petersburg oder Moskau machen unverdrossen weiter. Sie greifen weiterhin jedes Thema auf, das sich zu eignen scheint, in Deutschland Zwietracht zu säen. Etwa die


Bauernproteste: Es gibt sogar Fake-Websites über vermeintlich bankrottgehende Landwirte. Und sie unterstützen kräftig die AfD, rechtsradikale Narrative und Sahra Wagenknecht.


Wenn Sie in den sozialen Medien jemanden sehen, der allzu russlandfreundlich oder deutschlandapokalyptisch unterwegs ist – es kann gut sein, dass es sich nur um eine russische Werbemaßnahme


handelt.