Großbritannien: Warum Keir Starmer erst nach der Wahl so beliebt wurde - DER SPIEGEL


Großbritannien: Warum Keir Starmer erst nach der Wahl so beliebt wurde - DER SPIEGEL

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Die Umfragewerte von Keir Starmer sind nach seinem Wahlsieg in die Höhe geschossen. Was macht den neuen britischen Premier so beliebt? Und wie lange wird die Verzückung anhalten?


Einschätzungen von SPIEGEL-Korrespondent Steffen Lüdke aus London.


Nach Wumms sieht das eher nicht aus, ganz anders als der Weg in die Downing Street. Keir Starmer hat seine Labour Party nach vierzehn Jahren Auszeit in der Opposition mit einem


erdrutschartigen Sieg wieder zurück auf die Regierungsbank geführt. Und das nicht etwa mit großen Wahlgeschenken, sondern mit einem anderen Politikangebot.


Keir Starmer, Premierminister Großbritannien »Meine Regierung wird Ihnen dienen. Politik kann eine Kraft für Gutes sein. Das werden wir zeigen. Wir haben die Labour-Partei verändert, sie


wieder in Dienst gestellt, und so werden wir auch regieren. Zuerst das Land, dann die Partei.«


Steffen Lüdke, DER SPIEGEL »Man könnte fast sagen, die Briten und Starmer sind in der Honeymoon-Phase. Und dafür gibt es vor allem einen Grund. Und das ist der Kontrast zu seinen riesigen


Vorgängern. Was Starmer in seiner ersten Rede direkt klargemacht hat, ist: Er hat immer gesprochen von Government of Service und For the People und so weiter. Also, er sieht sich in einer


Tradition, wo er sozusagen dem Volk dienen möchte, und er bringt eine neue Ernsthaftigkeit ins Amt ein, ein Mindestmaß an Seriosität. Und das ist eben der große Kontrast zu seinen


Vorgängern, zu den Lügen von Boris Johnson und auch der Leichtfertigkeit, mit der Liz Truss sozusagen die wirtschaftliche Glaubwürdigkeit der Regierung aufs Spiel gesetzt hat in ihrer


Amtszeit. Und jetzt ist so ein Aufatmen zu spüren, dass in dieser Aufbruchsstimmung wirklich geendet ist.«


Die vergangenen Jahre waren für Großbritannien gespickt mit Brexit-Chaos, den Eskapaden von Partygate-Premierminister Boris Johnson und einer von ständigen Führungswechseln und Irrwegen


geprägten konservativen Partei. Eine Steilvorlage für die Opposition.


Keir Starmer, Premierminister Großbritannien »Das Land hat nichts mehr vorzuweisen, außer einer zerstörten Wirtschaft und einer implodierten Tory-Partei. Ich habe die Liste hier: 45 Pence


Steuersenkung – weg, Körperschaftssteuersenkung – weg, 20 Pence Steuersenkung – weg, zweijähriges Einfrieren der Energiepreise – weg, steuerfreies Einkaufen – weg, wirtschaftliche


Glaubwürdigkeit – weg. Und ihr angeblich bester Freund, der ehemalige Schatzkanzler? Auch er ist weg. Sie sind alle weg. Warum ist sie dann noch hier?«


Starmer ist also eher aufgrund der Schwäche des Gegners ins Amt gekommen, doch seine Beliebtheitswerte sind in den drei Wochen seit der Wahl erheblich gestiegen. Wie lange hält das an?


Steffen Lüdke, DER SPIEGEL »Dieses anfängliche Gefühl des Verliebtseins wird sich abnutzen und ich glaube, ein Grund dafür wird sein, wie Starmer mit der eigenen Partei und dem Ärger, der


ihm dort droht, umgeht. Man hat das jetzt schon gesehen. In dieser Woche gab es die ersten schlechten Schlagzeilen für ihn. Bei einer der Ersten einigermaßen heiklen Abstimmungen gab es


sieben Abweichler. Da ging es um die Sozialleistungen für Familien mit mindestens drei Kindern. Und Starmer möchte da die Sachen, die die Tories eingeschränkt haben, nicht zurücknehmen oder


nicht sofort zurücknehmen, einfach, weil kein Geld da ist. Und da gab es sieben Abweichler und Starmer hat sehr hart reagiert. Er hat die direkt ausgeschlossen aus der Fraktion für sechs


Monate, dann wird das Ganze überprüft und das hätte er nicht tun müssen. Das war ein Signal an die eigenen Leute, an den linken Parteiflügel, denn alle sieben waren vom linken Parteiflügel,


der Jeremy Corbyn nahesteht. Und es war ein Signal nach dem Motto: Das, was ich getan habe in den vergangenen Jahren, wie ich die Partei verändert habe. Das, was seine Kritiker einen


autoritären Stil nennen, das wird er weiter fortführen.«


Starmer und sein Kabinett stehen für einen grundlegenden Wandel. Direkt zu Beginn kippte die Regierung die höchst umstrittenen Pläne der Tories in der Migrationspolitik. Auch möchte Starmer


sein Land wieder näher an die EU heranrücken. Zwar ohne Zollunion und Binnenmarkt, dafür aber in Sicherheits- und Energiefragen. Allemal herausfordernd dürfte hingegen werden, das Vereinigte


Königreich selbst zu reformieren.


Steffen Lüdke, DER SPIEGEL »Ich glaube die ersten Starmer-Jahre – man weiß natürlich noch nicht, wie lange er regiert – aber die ersten Starmer-Jahre werden geprägt sein vom fehlenden Geld.


Er hat versprochen, das Land zu verändern. Er möchte Sachen umsetzen, die Investitionen erfordern. Das Vereinigte Königreich ist in einem dramatischen Zustand. Die Schulen bröckeln, die


Gefängnisse sind überfüllt. Es bräuchte wirklich überall Investitionen in die Infrastruktur in diesem Land. Und Starmer hat dieses Geld nicht. Er hat einen Plan. Er möchte die Wirtschaft


wieder wachsen lassen, mehr Geld einnehmen und es dann investieren. So ähnlich wie Tony Blair damals, der ab 1997 regiert hat und es genauso getan hat. Und das war auch einigermaßen


erfolgreich. Aber alles wird davon abhängen, ob es Starmer Spielraum hat für diese Ausgaben, indem er Wachstum generiert oder nicht.«


Eine Konstante aber ist den Briten trotz Regierungswechsel noch erhalten geblieben.