Tv-debatte im vorwahlkampf: bei den demokraten herrscht panik
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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Es war
ja schon die zehnte TV-Debatte der US-Demokraten. Doch wer erinnert sich noch an Miami? Detroit? Houston? Längst vergessen. Dieser jüngste Schlagabtausch dagegen, am Dienstagabend in
Charleston im Bundesstaat South Carolina, wird sicher noch eine Weile im Gedächtnis wabern - als brutales, peinliches Chaos. Zwei Stunden lang machten sich die sieben noch verbliebenen
Kandidaten einander nieder. Sie brüllten sich an, sie fielen sich ins Wort, sie schrien durcheinander, übereinander und gegeneinander, schimpften über die Moderatoren und sogar über das
Publikum im Saal. Bei der Partei herrscht Panik, und das zeigt sich. Grund genug gibt es ja. Dies sind Zittertage für die Demokraten. So nervös sind sie, dass keiner mehr dem anderen traut,
dass politische Reinheitstests jeden Kompromiss sabotieren. Alle gegen alle. Klar, dass sich US-Präsident Donald Trump ins Fäustchen lacht. Eine Woche vor der wegweisenden Massenvorwahl am
"Super Tuesday" prescht der linke Senator Bernie Sanders, den viele im November für unwählbar hielten, unaufhaltsam voran. Der Einzige, der ihn noch bremsen könnte, scheint der New
Yorker Ex-Bürgermeister und Ex-Republikaner Mike Bloomberg zu sein - ein Multimilliardär, der wiederum für viele andere nicht akzeptabel ist. Also stürzten sich alle auf diese beiden - und
zerfleischten sich dadurch meist selbst. "Wenn wir die nächsten vier Monate damit verbringen, uns zu zerreißen", flehte Amy Klobuchar nach einem besonders harten Hin und Her,
"dann werden wir die nächsten vier Jahre damit verbringen, Donald Trump zuzusehen, wie er das Land zerreißt." Sie hatte recht, aber als eine der ruhigen, vernünftigeren Stimmen
geriet die Senatorin prompt unter die Räder. Unter die Räder geriet auch die Substanz: Wer sich hier über die Programme der Kandidaten für das Land und gegen Trump informieren wollte, war
aufgeschmissen. Trotzdem oder vielleicht deshalb offenbarte diese letzte Debatte vor den nächsten Vorwahlen - am Samstag in South Carolina und dann am "Super Tuesday" drei Tage
später - einige teils überraschende Einsichten. 1. BERNIE SANDERS IST VERWUNDBAR Es war klar, dass der Spitzenreiter in den Umfragen wie der bisherigen Delegiertenbilanz für den
Wahlparteitag nach seinem breiten Sieg in Nevada hier verstärkt unter Beschuss geraten würde. Schockierend war jedoch, wie vehement sich die Rivalen auf ihn stürzten - und wie dünnhäutig
Sanders mit fortschreitender Stunde darauf reagierte. Elizabeth Warren, die einzige andere Progressive, warf ihm vor, unbezahlbare Versprechungen zu machen, etwa mit seiner Idee einer
staatlichen Krankenversicherung. Joe Biden und Pete Buttigieg sprachen aus, was viele denken: Eine Sanders-Kandidatur könnte die Demokraten nicht nur das Weiße Haus kosten, sondern auch das
Repräsentantenhaus. Anfangs noch amüsiert, verlor Sanders bald die Geduld, und als ihn das Publikum - das bis zu 3200 Dollar pro Ticket bezahlt hatte - zum dritten Mal ausbuhte, bellte er
grimmig in den Saal: "Echt jetzt? ECHT JETZT?" 2. MIKE BLOOMBERG ZAPPELT WEITER Nach seinem desaströsen Debattendebüt von Las Vegas musste Bloomberg beweisen, dass er mehr kann als
nur teure TV-Werbung zu schalten. Diesmal schlug er sich nicht ganz so miserabel wie letzte Woche, doch viele seiner Phrasen waren spürbar einstudiert - und nachweislich falsch. So
rechtfertigte er sich erneut tonlos für "Stop & Frisk", die kontroverse Polizeistrategie in New York, unter der meist Minderheiten litten, indem er behauptete, er habe sie ganz
von allein "um 95 Prozent zurückgedreht". In Wahrheit hatte ein Gericht die Praxis für verfassungswidrig erklärt. Einer seiner vielen Versprecher war bezeichnend: Bloomberg
prahlte, er habe 21 Kongressabgeordnete "gekauft" - er meinte, ihren Wahlkampf mitfinanziert. Und zwei seiner Konservenwitze landeten flach, gingen jedoch Gott sei Dank im Hickhack
unter. Einer handelte vom "nackten Cowboy" im Times Square, einem bei Touristen beliebten Schausteller, der übrigens Trump unterstützt. Die Lehre: Wer keinen Humor hat, sollte
keine Witze reißen. 3. JOE BIDEN DARF HOFFEN Es war die stärkste Debatte des Ex-Vizepräsidenten bisher. Biden hat South Carolina, wo er in den Umfragen führt, zu seiner "Firewall"
ernannt, seiner womöglich letzten Chance, die desaströsen Ergebnisse bisher auszugleichen, vor allem mit seiner Popularität bei den mehrheitlich schwarzen Demokraten-Wähler des Südstaats.
Deshalb ging es bei diesem Auftritt für ihn um alles. Immer wieder betonte Biden seine Arbeit "für die schwarze Community", seine Freundschaft zu Ex-Präsident Barack Obama und
seine Erfahrung mit Weltpolitikern. Als Einziger wirkte er staatsmännisch, als Erster brachte er die Coronavirus-Krise auf. Doch am meisten profilierte er sich, als ihn die anderen
wiederholt unterbrachen oder die Moderatoren ihn rüde ignorierten. "Wow, wow, wow!", rief er einmal. "Ich schätze, wir reden jetzt alle einfach drauflos?" Schließlich
platzte ihm der Kragen: "Ich bin nicht länger still!" 4. TV-DEBATTEN SOLLTEN ABGESCHAFFT WERDEN Das größte Problem - außer der Parteipanik - lag diesmal im betonten
Realityshow-Format. Die Kandidaten hatten nur eine Minute und 15 Sekunden Zeit, auf eine Frage zu antworten, eine Blitzrunde nach der anderen. Verständlicherweise hielten sich viele nicht
daran - was die anderen, die die Regeln befolgten, schwer nervte, vor allem Biden. Jeder versuchte, seine Themenhits runterzurasseln. Klobuchar brachte sogar ihren "Onkel Dick im
Jägerstand" unter. Auch waren viele Fragen der Moderatoren vom Network CBS banal, beliebig oder nebensächlich. Die Coronavirus-Krise, die nun die USA bedroht, wurde erst nach 70 langen
Minuten diskutiert, als viele Zuschauer sicher schon abgeschaltet hatten - und dann nur für vier Minuten, viel kürzer als zum Beispiel Sanders' Meinung über Fidel Castro. Über den
Klimawandel, die Einwanderung und die von Trump provozierte, schleichende Verfassungs- und Justizkrise fiel diesmal sogar gar kein Wort. Der beste Satz kam zum Schluss. Er stammte von
Moderatorin Norah O’Donnell: "Und das beschließt die heutige Debatte."